Sonntag, 21. August 2016

Buchreview "Jagdtrip" J. Ketchum

Jack Ketchum. Der Soldat hat den Krieg überlebt. Doch die Erinnerungen verfolgen ihn Tag und Nacht. Er meidet seine Mitmenschen. Er weiß, dass er für sie zur Gefahr werden kann. Eine Gruppe von Campern packt ihre Sachen für ein Wochenende in den Wäldern. Angelausrüstung, Kameras, Schwimmsachen, Gewehre. Vielleicht haben sie Glück und stoßen auf Wild? Ein Knacken im Unterholz. Der Soldat hält inne und lauscht. Dann hört er Stimmen. Und der Krieg hat ihn wieder.

Lee lebt im Wald - allein mit seinem Hund Pawlow, seinem einzigen Gefährten. Nach dem Vietnamkrieg, den er mit einem Trauma, aber ansonsten unversehrt überlebt hat, mag er nicht mehr unter Menschen sein. Frau und Kind hat er deshalb auch verlassen. Um Geld zu verdienen, baut er im Wald einige "Glücksseligkeit bringende" Pflanzen an, die er an McCann verkauft, der damit dann die Kundschaft versorgt. Ein gutes Geschäft für beide - Lee kann in seinen Wäldern fern von den Menschen bleiben und McCann muss sich nicht mit dem Anbau seines Produktes befassen. Immer wieder wird Lee von Albträumen heimgesucht, die die Ereignisse in dem unseligen Krieg hervorgerufen haben. Andernorts bereiten sich einige gutsituierte Freunde auf einen Campingtrip vor. Irgendwie schleppen sie neben dem eigentlichen auch mentales Gepäck mit in den Wald. Doch ihr Hauptziel ist das Zusammensein und der Spaß. Jagen und fischen, Vögel beobachten und vögeln, kiffen und saufen - Reihenfolge egal. 

Ich gebe es zu, irgendwann im Laufe der ersten Hälfte der Lektüre hab ich mir überlegt, was wohl ein Edward Lee aus der Konstellation Kelsey, seine Gattin und seine Geliebte plus Alan, Graham und Ross gemacht hätte, aber das währte nur kurz. Vergleiche konnte ich aber mit anderen Werken ziehen. Dazu später mehr. Lee wird nur kurz eingeführt, das Hauptaugenmerk liegt anfangs auf den Reichen und Schönen, die im Gegensatz zu heutigen Gepflogenheiten in Buch und Film, nicht irgendwelchen werberelevanten Zielgruppen angepasst jung und telegen sind, sondern ältere Semester mit beruhigendem Auskommen und gewissen Erfolgen sind. Dämlich führen sie sich hier und da dennoch auf. Und mit der Zeit kommen einige Dinge ans Tageslicht, die man besser verborgen hätte. Doch übermäßig große Differenzen löst das in der Gruppe nicht aus. Fein, Herr Mayr/Ketchum, ein Klischee erfolgreich umschifft. Dann stolpert einer der Gruppe über das Marihuana-Feld und bedient sich an den Pflänzchen. Nimmt Lee blutige Rache dafür? Nicht wirklich. Wieder einen zu erwartenden Handlungsstrang umgangen. Mit Lees Erkennen, dass der Wald nicht mehr ihm allein gehört, beginnen nicht nur seine Erinnerungen an den Krieg hochzukochen, jetzt wird er zur gefährlichen Waffe. Und hier der erste Vergleich: Auch wenn dieses Buch von 1987 ist, bietet es entschieden mehr hinsichtlich der Tragik eines Mannes, der den Vietnamkrieg in all seiner Grausamkeit erlebt und ihn überlebt hat, als man das zuletzt von McLean/McBean bei "Wolf Creek 2" lesen durfte. Der war nur mit irgendwelchen Aktionen des Mick in Vietnam gefüllt, die das Buch in die Länge ziehen sollten, um auf eine Seitenzahl zu kommen, als Charakterstudie eines Soldaten diente es nicht mehr, da Mick ja schon zuvor am Rad drehte. Der lernte nur noch einige fiese Tricks. Hier in "Jagdtrip" dienen diese Rückblenden aber dem Zweck, dem Leser zu verdeutlichen, was ein solcher mit aller Härte und Bösartigkeit geführter Konflikt aus einem Menschen machen kann. Ein Mensch der Schreckliches erleben musste. Statt wie dereinst "Rambo", der sich gegen die Missachtung seines Einsatzes, gegen die ihm entgegengebrachte Verachtung im Buch (nicht so lau wie im Film) auf brutalste Art rächte, ging Lee in die Wälder, wo er weder sich noch seinen Mitmenschen oder Frau und Sohn Lee jr. Schaden zufügen konnte. Feigheit vor der Konfrontation mit der Gegenwart oder Verantwortung gegenüber den Unschuldigen? Wer weiß? Und der Name des Hundes - Pawlow? Trotz Schlägen immer wieder zurückkommen? Überdenkenswert?

Als es dann zum ersten Zusammentreffen kam, hatte ich als Leser für die meisten Figuren der Camper eher wenig übrig. Der Sympathischste, wohl weil nur Nebenfigur ohne große Charakterschwächen, die er als erstes Opfer auch nicht brauchte, war dann auch der Vogelbeobachter. Wozu Zeit an den verschwenden, wenn man ihn eh gleich wieder rausschreibt? Und dann kommt es zu dem Szenario, das ich mir beim lernfreudigen "Wolf Creek"-Mick gewünscht hätte: Die fiesen Fallen, die die Soldaten in Vietnam am eigenen Leib erfahren mussten. Gruben mit angespitzten und in Scheiße getauchten Stöcken, Fallstricke und so weiter. Die unheimliche Atmosphäre in einem dunklen Wald, in dem man auch bei Tag nicht erkennen kann, was einen erwartet und somit hinter jedem Busch einen Feind vermutet. Angst und Paranoia machen sich breit. Jedes Geräusch lässt einen zusammenzucken. Und als Leser ist man natürlich jetzt voller Erwartung, was als Nächstes passiert, ob sich wer aus der Heimat des Lee lebendig auf das gewohnte Terrain der Städte retten kann oder ob der Veteran sie alle erwischt, im Wald verschwinden lässt, als Dünger für seine Pflanzen nutzt. "Jagdtrip" hat 350 Seiten Story plus 20 Seiten Platzfüller in Form von einem Werkverzeichnis der in Deutschland von Jack Ketchum bei Heyne erschienen Titel. Preishochtreiberei, weiter nix. Besonders im letzten Drittel legt der Autor dann auch richtig los, gewinnt die Sache an Fahrt, der Härtegrad hält sich aber in Grenzen. Das Buch ist von Beginn an ein ordentlicher Thriller mit Elementen aus dem Vietnamkrieg. Dass das Buch vielerorts als "Horror-Roman" bezeichnet wird, kann ich nicht nachvollziehen, denn dann wäre ja jeder Vietnamfilm und jeder Roman zu diesem thema eine Horrorstory. Es ist vielmehr ein spannendes, actiongetränktes Drama um einen Vietnamveteranen, der sich in der Heimat nicht mehr richtig einleben und konnte und es nach den vielen Anfeindungen der studierenden Drückeberger und Faulenzer auch nicht mehr durfte. Irgendwann kann ein Mann die Schmähungen für etwas, das er nicht zu verantworten hat, nicht mehr ertragen. Ein gutes Buch, das aber von David Morrell und seinem "Rambo - First blood" doch noch um einige Längen übertroffen wird. Dieses Buch mit anderen von Ketchum zu vergleichen erübrigt sich, weil es das erste war, das ich von ihm gelesen hab.

Keine Kommentare: