Freitag, 1. Januar 2016

Buchreview "Krank" W.J.White

Wrath James White. Ihr ganzes Leben lang hat Adelle Smith anderen Menschen geholfen und sich für die Bürgerrechte eingesetzt. Dafür wird sie öffentlich geehrt. Kurz darauf erleidet Adelle einen Schlaganfall. Nahezu gelähmt und nicht mehr fähig zu sprechen, benötigt sie nun selbst Hilfe.
So gerät die alte Frau in die Obhut einer rabiaten Krankenpflegerin. Weil die in einer armen Familie eine traurige Kindheit erlebte, soll die Kranke dafür büßen. Ja, Adelle braucht Hilfe. Schnell!
Doch sie kann es ja niemandem sagen! 

 
In einem Prolog wird eine Krankenschwester skizziert, die ihren Job schmeißt, weil es ihr gewaltig gegen den Strich geht, verwundete Gangmitglieder zu versorgen, damit sie dann wieder auf die Menschheit losgelassen werden können. Sie handelt nach ihrer Ansicht und wirft dann den Job hin. Andernorts und einige Zeit später wird die Bürgerrechtlerin Adelle Smith für ihr Lebenswerk geehrt und lässt sich dann von ihrem Chauffeur nach Hause kutschieren. Dort erleidet sie einen Schlaganfall - eigentlich sind es mehrere, denn nach den ersten kleineren konnte sie sich noch ans Telefon schleppen und den Notruf wählen, erst danach kam der fast finale Schlag. Im Krankenhaus wird sie wieder ins Leben geholt und nach einem Koma mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Sprachzentrum in Mitleidenschaft gezogen wurde und sie zudem halbseitig gelähmt sein wird. Einen Umzug in ein Pflegeheim lehnt sie ab, sie will zu Hause versorgt werden. Also stellt ihre Tochter Tonya widerwillig eine Schwester ein, die vom Hospiz mit hervorragenden Referenzen empfohlen wurde. Doch sobald die Schwester mit Adelle allein ist, ist es vorbei mit der freundlichen Behandlung. Aus ziemlich an den Haaren herbei gezogenen Gründen beginnt sie mit ihrer Tortur für die bettlägerige Patientin, die sich weder wehren noch irgendwie verständlich machen kann. Wer der Pflegerin bei ihrer Folter der Kranken in den Weg gerät und sie auffliegen lassen könnte, verlässt diese schnöde Welt früher als geplant. Ebenso wie einige ihrer früheren Patienten. Irgendwann kommt ein Freund der Familie der Sache auf die Schliche und das Ganze Szenario eskaliert. Nicht alle überleben diesen Showdown im Pflegezimmer.

Wrath James White ist ja bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt, während ich Herrn Gonzalez nicht so wirklich einordnen kann. In Sachen Blutvergießen und Extrem-Horror wurden hier zwar keine Samthandschuhe angezogen, aber dafür etwas die Handbremse. Die eine oder andere Zerstückelung und die Thrillerelemente hätten auch in der normalen Horror-Reihe ihren Platz behaupten können. Und die Figuren? Mir zumindest allesamt eher unsympathisch und sehr selbstgefällig. Erinnert an alle, die nach mehr Aufmerksamkeit lechzen, nach mehr Gerechtigkeit und nach mehr Chancengleichheit - und wenn sie die dann haben, immer noch nicht zufieden sind und plötzlich selbst besser gestellt sein wollen als die anderen. Und wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, fallen sie wieder in das alte Muster zurück. Wir sind doch die armen Außenseiter, denen gleiches Recht versagt wird. Sie wollen Quoten und bekommen sie. Und machen damit jenen, die sich ihren Posten oder Status erarbeitet haben, genau das kaputt. Weil jetzt jeder als nur der Quote dienend berufen angesehen wird. Und die Politf....n spielen da wegen Wählerstimmen und Scheinheiligkeit voll mit. Soviel zu der Einstellung von Menschen wie Adelle oder ihrer Tochter Tonya. Was die Krankenschwester angeht, fantasiert die sich ihre Benachteiligung ziemlich munter zusammen, nah am Rand des Wahnsinns und an ihr zeigen die Autoren verschiedene Mechanismen des Rassismus auf. Da ist der real existierende Rassimus, der ausgemerzt gehört. Es geht nicht, dass jemand nach seiner Hautfarbe, Sprache, Aussehen, Religion oder sonstwas beurteilt wird. Genausowenig wie es sich gehört, Meinung zu unterdrücken oder alles einer gewollten und vorgeschriebenen political correctness-Zensur zu unterwerfen, wie derzeit überall zu beobachten. Leistung und Anstand sollten zählen. Aber da ist dann auch die andere Seite von denen, die immer nur jammern und anderen die Schuld an ihren eigenen Missständen geben - und sei es nur die eigene Faulheit, sich aufzuraffen, etwas zu lernen, einen Job zu suchen. Nö, dann lieber Rassisten oder wem auch immer die Schuld geben. DAS sehen die Politiker aber nicht - und das führt zu einer Benachtiligung all derer, die etwas tun für ihr Auskommen, ihre Existenz. Da wird denen bald so ein Quotenfaulenzer vor die Nase gesetzt, der sie dann noch verhöhnt. Ja, so kann man einige der Dialoge, die die beiden Autoren eingepflegt haben, durchaus deuten. Und neben dieser Problematik der Ungleichbehandlung der Menschen kommt auch nicht das Gesundheitssytem dazu? Wieviele Versicherungen drücken sich vor Leistungen? Seit das ganze System in verräterischer Weise kommerzialisiert wurde, ist die Zahl und die Anwendung der miesen Tricks, um Zahlungen abzuwenden, immer weiter gestiegen. Beiträge kassieren, aber nichts dafür tun. Gewinnprognosen, statt Gesundheitsprognosen. Und wie wurde das erreicht? Durch die Kungelei der Lobbyisten mit den jeweiligen Lenkern der Staatsgeschicke. Und die ganzen Jungpolits, die eh noch kaum richtig gearbeitet haben, würden die Alten und Gebrechlichen eh auf ihre Art aus dem Kostenrahmen  nehmen. Denen wäre eine Schwester wie diese gerade recht. Medikamente einsparen, Platz schaffen. Und damit kämen wir dann zur Pflege, sei es nun stationär in einem Hospiz oder häuslich. Die Pfleger sind zumeist unterbezahlt und zum Ausgleich dafür überlastet. Zeitnot, fehlende Mittel für Medikamente und Heimplätze, Dauerstress. Das macht jeden Menschen mürbe. Was ist, wenn diese überforderten Menschen ihren Frust an den Pflegebedürftigen auslassen? Es muss keine Folter in der Art sein, die Adelle hier erfährt. Da reichen Vernachlässigung, barscher Ton, rüder Umgang!! Wie müssen sich die Menschen fühlen, die sich nicht wehren, sich nicht verständlich machen können? Und schon wären wir wieder bei der politisch gewollten Gewinnmaximierung auf Kosten anderer. Um das Thema kümmert sich in den Plenarsälen keiner, da es dort viel wichtiger ist, die nächste Diätenerhöhung auszuhandeln oder nachzusehen, welche Bank man diesmal mit dem Geld retten kann, das vom Steuerzahler kommt, aber an dem vorbei verwendet wird. Auch davon handelt dieses Buch. Trotz der blutigen Szenen, der Schießerei, die "Krank" selbstverständlich auch vorzuweisen hat, ist hier eine Riesenportion Sozialkritik vorhanden, die ich so - zumindest nicht in dem Umfang - von den beiden Autoren nicht erwartet hätte. Aber genau das rettet meiner Meinung nach auch das Buch vor schlichtem Mittelmaß. Ein Buch für eine kranke Welt. Wer hier nur auf ein reines Schlachtfest hofft, könnte eine kleine Enttäuschung wegstecken müssen. Ach ja, der Epilog war mir dann zu sehr mit Kariesgefahr behaftet - alles so schön nett hier. :

3 Kommentare:

Camillex hat gesagt…

Hallo,

tolle, ausführliche Rezension! Die ganze Kritik hätte ich in so einem Buch wohl auch überhaupt nicht erwartet.

Das Buch ist wohl eher nichts für mich. Bezüglich (schlechter) Krankenpflege bin ich einfach zu stark vorbelastet, das würde mich aus persönlichen Gründen wahrscheinlich zu sehr mitnehmen.

Anonym hat gesagt…

Danke für die netten Worte.

Was das "ausführlich" angeht, wäre da durchaus noch mehr zu schreiben gewesen, aber es hätte dann doch zuviel Platz eingenommen.

Zum Autor: den Rassismus thematisiert er ja öfter, ABER er nutzt seine Bücher auch für andere Themen. "Population Zero" ist durchaus auch in Richtung Überbevölkerung zu deuten, da käme dann Religion mit ins Spiel und so weiter.
"Yaccubs Fluch" hat nur wenig Horror oder Übersinnliches und ist die meiste Zeit ein Thriller um Gettoszustände, Rassismus, Drogen und so weiter.
Und hier ist es der Roman um eine Figur, die sich benachteiligt fühlt, weil ihr Papa mit seiner in Eritrea erworbenen Arztlizenz in den Staaten als Hausmeister arbeiten musste und die weiße, übrigens reiche, Mutter sich bald verdrückt hat. Die Hauptfigur hatte alles, hat aber einige Ideen zum Rassismus gegen ihre Person sehr weit ausgelegt. Doch in Dialogen wird dargelegt, wie verschieden diese Sichtweisen sein können. Und die Person, die da bettlägerig ist, sich kaum bewegen kann und sich auch nicht verständlich machen kann? Wie oft hört man in den Nachrichten von solchen unhaltbaren Zuständen in den Heimen? Und dann braucht man sich nur vorstellen, wie es einem ginge, läge man selbst da.
Ob White wirklich auf derartige Dinge hinweisen wollte oder ob sich das nur reingelesen habe, könnte mir nur der Mann selbst beantworten. Ich habe es so empfunden. Andere Leser meinten, das Buch wäre schlicht langweilig und hätte noch nicht einmal in der "normalen" Horror-Reihe bestanden. geschmnackssache.

Gruß
Harry

Carmen Weinand hat gesagt…

Gerade, weil es kein reines Schlachtfest zu sein scheint, interessiert mich das Buch jetzt umso mehr. Es liegt hier noch eingeschweißt wie fast alle meiner Bücher aus dem Extrem-Abo. Einfach deshalb, weil ich satt bin.
Allerdings schafft dieser Schmöker jetzt den Sprung ans obere Ende des Stapels. Bin gespannt. Danke für diese ausführliche Besprechung!