Samstag, 20. Juni 2015

Buchreview "Miami Blues" C. Willeford

Charles Willeford. Frederick J. Frenger jun., gerade aus dem Knast entlassen, fliegt in Miami ein. Dort befördert er einen Hare Krishna ins Jenseits und lernt dessen Schwester Susan kennen, mit der er eine platonische Ehe der besonderen Art führt. Hoke Moseley vom Miami Police Department ist diese Beziehung und vor allem Freddy selbst nicht ganz geheuer. Es kommt zu einem Showdown zwischen dem unbekümmerten Psychopathen und dem hartnäckigen Cop. »Miami Blues« ist der erste Band einer in Miami angesiedelten vierteiligen Serie mit Detective Sergeant Hoke Moseley, einem Cop »mit schlecht sitzendem Gebiß, billigen Freizeitanzu¨gen, abgenudelter Kreditkarte und allzu freidenkerischen Auffassungen seines Berufs«. Der Roman wurde1990 mit Alec Baldwin verfilmt. Quelle: Amazon.

Junior kommt gerade aus Kalifornien. Dort hat er seine Zeit im Knast abgesessen und einen guten Ratschlag erhalten: Er soll aus dem Staat verschwinden und seine Dummheiten woanders machen, denn dort warte es ja seine erste Straftat und die "Three Strikes"-Regel würde von vorn beginnen oder er geht in einen Staat, wo sie gar nicht angewendet wird. Gute Idee findet Junior, aber Reisegeld braucht er doch auch. Also flugs drei Typen ausgeraubt, schön nacheinander, ein bisschen lädiert, damit sie ihm nicht sofort die Bullen auf den Hals hetzen können und mit einigen hundert Dollar und deren Papieren den Abflug gemacht. Im seinem Sitz der ersten Klasse übt er fleissig die Unterschriften für die Kreditkarten seiner, um in Miami dann deren Geld zu verprassen. In der Halle des Flughafens strolchen die bekannten Hare Krishnas rum und belästigen die Reisenden oder deren Angehörigen. Als einer dieser Clownsköppe Junior nicht nur zu nahe kommt, sondern ihn auch noch antatscht, bricht der ihm kurz und knapp den zu frech benutzten Finger. Fängt das Burschi an zu plärren und wirft sich wimmern auf den Boden. Hätte es damals schon Facebook gegeben, wären die Freundschaftsanfragen für Junior durch die Decke gegangen. So aber kann er sich nur des Beifalls der Umstehenden sicher sein, die absolut kein Interesse haben, dem Krishna in irgendeiner Form Hilfe zu leisten. Junior geht ungerührt weiter und verlässt das Flughafengelände, womit ihm auch entgeht, dass der Krishna endgültig den Löffel abgibt. Der Sergeant Hoke Moseley wird zu dem Fall gerufen, kann aber erst nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung der Leiche wirklich mit der Bearbeitung beginnen. Derzeit mach sich Junior an Susan heran, ohne wirklich zu ahnen, dass die die Schwester des Toten vom Flughafen ist. Und über Susan kommt dann auch der Kontakt zwischen Täter und Polizist zustande, als Hoke bei ihr auftaucht, um ihr vom Tod des Bruders zu berichten. Natürlich ahnt Hoke nicht, dass er dem Täter gegenüber sitzt und auch später, als er vor seinem Hotelzimmer überfallen wird und ihm Dienstmarke und Waffe geraubt werden, denkt er nicht an Junior. Da ihm der Kiefer gebrochen wurde, das alte Gebiss zerschmettert, hat er im Krankenhaus lange genug Zeit, über alles nachzudenken und findet, dass Susan durchaus ihren Bruder selbst auf dem Gewissen haben könnte. Als Junior dies merkt, muss er wohl verschwinden, aber dafür muss auch ein letzter großer Coup her - und der Schnüffler Hoke aus dem Weg.

Das Buch spielt in einer Zeit, als die Amerikaner die Flüchtlinge aus Kuba anerkannt haben und ihre Anwesenheit somit legalisierten. Der Bart Fidel war damals noch nicht dement, sondern ein cleverer Bartträger mit einem Plan. Wazu die ganzen Spinner und Kriminellen in den Hospitalen und Gefängnissen durchfüttern, schicken wie sie doch in die USA. So kam dann auch "Scarface" in die Staaten. In dieser Zeit also ist der Soziopath Frederick Frenger jr. in Florida aufgetaucht. Und sofort lernen er und die Leser, was legales und staatlich sanktioniertes Betteln einbringt. Sobald man als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, hat man fast freie Bahn. Hierzulande nennen sie es Kollekte und was da nach dem Gottesdienst so ins Körbchen wandert, ist unvorstellbar. Fuffies sind da selten einsam, sondern so gut wie immer in einer größeren Gemeinschaft zu finden. Wenn Filmesammeln als eine (meine) Religion anerkannt würde, wäre ich nur zu dem Zweck unterwegs, haha. Tja, die andere Sache ist die, dass die übelsten Figuren aus dem Knast freigelassen werden, weil weder Personal noch genug Platz vorhanden ist. Ist ja hier auch kaum anders, nur dass die meisten Drecksäcke gar nicht erst reinkommen, da hier ja anscheinend Täterschutz statt Opferschutz herrscht und die Medien dazu noch mit ihren Lügen (daher von manchen auch schon als Lügenpresse bezeichnet), Spekulationen, dem Belästigen der Angehörigen und dem Missachten der Privatsphäre zum Zwecke der Auflagensteigerung jeglichen Anstand sausen lassen und den Begriff Pressefreiheit nur zu ihren Gunsten sehr weit ausdehnen. So manch einer würde unter Pressefreiheit mittlerweile gerne verstehen, dass es die Freiheit ist, zumindest manche Presseorgane aus ihrem verlogenen Geldbeschaffungsmetier zu entfernen. Tja, so eine miese - oberflächlich gesehen - Figur ist nun in Miami aufgetaucht. Eigentlich kommt er daher wie ein simpler Gangster ohne Gewissen und ohne jegliches Mitgefühl für seine Opfer. Seine Gefühlskälte macht ihn sofort unsympathisch. Und doch - hin und wieder blitzen Wünsche und Gedanken bei ihm auf, die ihn wirken lassen, wie einen normalen Menschen mit Träumen, wie sie auch sonst jeder für sich hat. Aber das sind nur kurze und kleine Lichtblicke, wenn er sich dann wieder in den naiven, aber rücksichtslosen Sozio verwandelt. Der Fall selbst ist aber nebst den dazugehörigen weiteren Taten eigentlich nur eine deprimierende Milieubeschreibung des Amerika Mitte der 80-er Jahre. Alles ist düster, keiner hat irgendetwas wirklch Optimistisches beizutragen, Erfolge vorzuweisen, scheinen irgendwie am Leben gescheitert in dieser tristen Atmosphäre. Willeford hat zwar etwas lakoischen Humor pointiert gesetzt, aber ansonsten einen echten Gegenentwurf zu TV-Serien über Miami wie "Miami Vice" oder "CSI: Miami" geschrieben. Nix strahlender Sonnenschein, Glitzerwelt und zufriedene Menschen, die Kriminalfälle in einem Tempo lösen, dass sogar Werbepausen dazwischenpassen. So kommt es dann zu einem wenig spektatkulären Showdown zwischen einem Gangster, der bestenfalls als keines Gaunerlicht zu skizzieren ist und einem Bullen, der im Job und Privatleben auch nicht mehr viel zu erwarten hat und recht weit unten angekommen ist. In einem Folgeroman zu "Miami Blues" soll Willeford übrigens Hoke seine beiden Töchter umbringen lassen. Wollte damals  - und bis heute - keiner lesen und das Buch fand nirgends einen Verlag. Dafür aber die anderen drei Bücher "Neue Hoffnung für die Toten", "Seitenhieb" und "Wie wir heute sterben". Alle im Alexander-Verlag erschienen.

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