Sonntag, 7. Juni 2015

Buchreview "Das Kartell" D. Winsolw

Don Winslow. Sie waren einmal beste Freunde. Aber das ist viele Jahre und unzählige Tote her. Der Drogenfahnder Art Keller tritt nun an, um Adan Barrera, dem mächtigen Drogenboss, für immer das Handwerk zu legen. Er begibt sich auf eine atemlose Jagd und in einen entfesselten Krieg, in dem alle Grenzen zwischen Gut und Böse schon längst verschwunden sind: ein Krieg mit epischem Ausmaß, ein Krieg gegen die Gesetzlosen.

Adan Barrera hat es geschafft, sich in ein mexikanisches Gefängnis ausliefern zu lassen. Erst noch in Einzelhaft und unter besonderen Schutzmaßnahmen, dauert es nicht lange und er hat zumindest seinen Zellenblock unter Kontrolle. Bald spurt auch das Wachpersonal, denn wer es nicht tut, lebt nicht mehr lange - und darf vorher seiner Familie beim Sterben zuschauen. Mittlerweile schwelgt Barrera in Luxus, schmeißt für sein Gefolge Weihnachtsfeiern, regelt das Geschäft vom Knast aus. Und bald ist es soweit: er flüchtet und fängt wieder an, seine Geschäfte persönlich zu leiten. Sein ehemaliger Compadre Art Keller hatte sich zwischenzeitlich in ein Kloster mit Schweigegelübde zurückgezogen und kümmerte sich dort um die Bienenzucht. Doch eines Tages bekam er Besuch - und verschwand ohne ein Wort des Abschieds. Keller ist wieder auf der Jagd. Barrera und die Kartelle sind sein Ziel. Schließlich hat sein ehemaliger Compadre nach seiner Flucht, zu der er den Tod seiner Tochter Gloria nutzte, ein Kopfgeld von zwei Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt. Und geköpft wird in "Das Kartell" viel. Schnell bricht ein gnadenloser Krieg unter den Bossen aus, da Adan seine ehemaligen Plazas - die Gebiete, die unter seiner Kontrolle stehen und für deren Durchquerung mit Lieferung eines anderen Kartells eine Abgabe gezahlt werden muss - wieder unter seine alleinige Kontrolle zu bringen. Doch der scheinbare Frieden, der unter den vier beherrschenden Kartell-Clans herrschte war schon vorher brüchig. Jetzt zerfällt er endgültig. Kellers Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Regierungsinstitutionen leidet darunter, dass man niemandem trauen kann, da alle durch die Gangster unterwandert sind. Entweder wegen Geld oder Tod. Sehr brutalem Tod. Weder Regierung noch Presse sind davor gefeit. Und die Leute, mit denen er an der Krise arbeitet, haben Familie. Je länger dieser unsägliche Krieg dauert, umso entsetzlicher wird er  - und die Bevölkerung der Städte sitzt oft zwischen den Stühlen. Die Polizei kann sie nicht schützen, wenn sie von der einen Seite aufgefordert werden, für sie zu arbeiten, während die andere gleichzeitig ihr Leben bedroht, wenn sie es tut. 

Kurzversion: Das ist der Don Winslow, wie ich ihn wieder lesen wollte und der sich von den simplen Ergüssen wie "Missing New York" entschieden abhebt. Die Fortsetzung von "Tage der Toten" ist wahrlich ein Epos voller Wucht und erzählerischer Kraft, das den gemeinen Leser nur geschockt schlucken lässt und direkt an den Vorgänger anschließt. Was Winslow hier bietet, ist der Wirklichkeit so unheimlich nah, dass  man es kaum glauben mag. Aber wer in den letzten Monaten die Nachrichten verfolgt hat, wird wissen, dass die Entführung der 43 Studenten und ihr Ende in einem Massengrab, das 24-stündige Gefecht der Polizei mit Drogendealern und die Kameraüberwachung einer ganzen Stadt durch die Kartelle im wahren Leben wiedergeben, was der Autor in seinem Werk abliefert. Da ist nichts übertrieben, nichts beschönigt. Es werden gnadenlos die Verstrickungen der amerikanischen Wirtschaft und Politik (Letztere hat er ja eh auf dem Kieker) in die Machenschaften der Kartelle dargelegt, wird deutlich, was ein Freihandelsabkommen mit den Amerikanern auch bedeuten kann. Was auf der anderen Seite vom Teich passiert, kommt nach geraumer Zeit eh nach Europa, da muss man es denen nicht noch erleichtern, ihr menschenunwürdiges System hier noch schneller zu etablieren. Oder glaubt jemand wirklich an Vorteile bei einem Abkommen, das von den USA initiiert wird? Und auch Europa wird in diesem Krieg erwähnt mit einer Organisation namens 'Ndrangheta (nie gehört, muss ich ehrlich sagen), die von Kalabrien aus ihre Geschäfte betreibt und hinsichtlich der Terrorszene (Hier Hamburg). Womit wir bei den amerikanischen Auslegungen für ihre Kriege wären. Nur gegen Narcos, das ist kein Krieg, sondern Kampf gegen Verbrechen, aber wenn man von Narcoterrorismus spricht, sieht die Sache anders aus. Auf einmal fließen die Gelder, werden Waffen geliefert. Auch an Mexiko, wobei die dann meistens bei den Narcos landen. Es gibt massenweise Denkansätze. Wer ist denn Schuld an den Problemen? Die Mexikaner mit ihren Kartellen und der daraus resultierenden Gewalt und Korrpution? Die Amis als Hauptkunden? Wie geht man gegen diese Verbrecher vor? Blutige Einsätze mit Spezialtruppen?  Und was hat die US-Regierung schon alles unternommen, damit sie mithilfe der Kartelle unliebsame Regierungen abschaffen kann, speziell in Mittelamerika? Kartelle finanzierten den  amerikanischen Kampf gegen Linke in Mittelamerika. In diesem ganzen Dilemma verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse sehr schnell. Selbst die Drogenbosse - eigentlich rücksichtlose Saukerle - haben einen gewissen Ehrenkodex und wollen zumeist die Opfer unter der Zivilbevölkerung gering halten. Sie lieben ihre Familien (Okay, auf einer eher etwas perverse Art.) und sind gegen die überbordende Gewalt im Land. Sie arbeiten viel lieber mit den amerikanischen Ölkartellen zusammen, die mehr als nur gutes Geld dafür zahlen - an die Narcos, nicht an die Arbeiter oder jeweilige Regierung -, um in Ruhe die Quellen ausplündern zu können. Sie dulden, dass US-Firmen zu Niedriglöhnen ganz nahe der Grenze ihre Ausbeuterfabriken aufmachen, solange das Kartell beteiligt wird (Was natürlich bei den Löhnen durch die Amis wieder eingspart wird.). Und sie nutzen die vielen mittlerweile schon fast freien und durch das Freihandelsabkommen auch kaum gestörten Grenzübergägne und Routen, um ihre Ware an den Mann zu bringen. Auch Art Keller liebt eine Frau, will nur ihr Bestes. Ebenso die tapferen Polizisten, die aber bald einknicken müssen - oder in allen vorgenannten Fällen wird zu extemen Paraktiken gegriffen. Die Polizisten verstecken sich (Hierzulande verstecken sie sich nicht, das schöne Deutschland hat nur kein Geld mehr, um genug davon zu bezahlen.), weil die Narcos Jagd auf sie und ihre Familien machen und Keller scheißt bald auf Anstand und hetzt die Kartelle in einen knochenharten Krieg. Das ganze Gerede von Sicherheit durch mehr Überwachung ist eh Quatsch, wenn man von den Gangstern überwacht wird. Oder man lese mal Statistiken: auch bei uns wird ja immer wieder nach mehr Überwachung geplärrt. Alles zum Schutz der Bürger. Fragt sich nur, warum dann die Übergriffe auf Polizisten steigen oder die Einbruchszahlen bei extrem niedrigen Aufklärungsquoten. Sicherheit? Von wegen. Da ist ja die TV-Serie "Person of interest" realistischer. Zurück nach Mexiko. Stellt sich die moralische Frage, ob man hier Feuer mit Feuer, Gewalt mit Gegengewalt bekämpfen kann? Versucht die USA schon seit Menschengedenken, konnte aber nur die Rasse der Indianer fast komplett ausrotten, ansonsten gelingt ihnen nichts. Krieg gegen Drogen? Auf der Verliererstraße. Krieg gegen Terror? Auf der Verliererstraße und auch zu blöd (Bin Laden verpennt, Irak mit Lüge überfallen und ISIS wieder verpennt). Wie kann man solchen Exzessen der Brutalität und Unmenschlichkeit begegnen? Don Winslow bietet keine Lösungen an (Kann er vermutlich genausowenig wie andere Leute) und schildert nur schonungslos den Ist-Zustand. Fulminant, außerordentlich hart und blutig-brutal, hin und wieder etwas menschlich, aber in höchstem Maße beunruhigend und realistisch, gut recherchiert (Vieles kann man selbst nachforschen via Net) und ohne Pardon. Eine schwer zu verdauende Lektüre, die kein Happy End anbietet und meines Erachtens zum Pflichtprogramm gehört. Da ist mehr wahres Leben drin als in so mancher Reportage oder irgendwelchen Artikeln und auf alle Fälle mehr als in Politikeraussagen zu derartigen Themen.

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