Samstag, 11. April 2015

Buchreview "Empty Mile" M. Stokoe

Matthew Stokoe. Acht Jahre hat Johnny Richardson versucht, den Schatten seiner Vergangenheit zu entkommen. Als er die Vergeblichkeit seiner Flucht einsieht, kehrt er in seinen Heimatort Oakridge im Vorgebirge der Sierra Nevada zurück. Hier hat Johnny seinen besten Freund mit einer Frau betrogen; hier ist seine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen; und hier hätte er um ein Haar seinen kleinen Bruder ertrinken lassen, der seitdem geistig behindert ist. Jetzt ist Johnny zurück. Mehr schlecht als recht versucht er, in Oakridge Fuß zu fassen. Dann kauft sein Vater ein abgelegenes Grundstück am Fluss, das in der Gegend nur »Empty Mile« genannt wird. Er überschreibt es Johnny und verbietet ihm, es jemals zu verkaufen, komme, was wolle. Kurz darauf verschwindet der Vater spurlos. Während Johnny das Geheimnis von Empty Mile zu ergründen sucht, erwachen in Oakridge dunkle Kräfte.

Johnny kehrt nach acht Jahren von Schuldgefühlen geplagt zurück. Er will seine früheren Verfehlungen wiedergutmachen und sich ein neues Leben aufbauen. Sein Bruder Stan, seit dem Unglück am See etwas zurückgeblieben und nicht fähig, völlig allein für sich zu sorgen, begrüßt ihn überschwänglich, sein Dad eher zurückhaltend. Der Bruder hat sogar einen Job gefunden - und zwar bei Bill Prentice, der einer der Bosse in dieser kleinen Stadt ist. Und noch so ganz andere Hobbys hat, wie Johnny bald erfahren muss. Lange hält er es nicht aus und geht zum Haus von Marla, um sie zu begrüßen. Marla war das Mädchen, das er seinem ehedem besten Kumpel Gareth ausgespannt hatte und die er sitzen ließ, nachdem er seinen Bruder fast ertrinken ließ. Er hielt das damals für sein versagen, da er den Jungen allein am Wasser ließ, um mit Marla im Wald zu verschwinden. Er musste einfach weg. Jetzt will er sich den Situationen stellen, alles besser machen. Marla ist nicht da, aber er kann nicht anders und stöbert in ihrem Haus herum. Er sieht, dass sich da etwas angespielt haben dürfte, das ihm wohl nicht gefallen würde, als er Wagen vorfahren sieht. Zuerst kommt eine Frau Richtung Haus und er versteckt sich schnell, kann gerade noch die zweite Person erkennen, bevor er durch die Hintertür abhaut: seinen Vater. Und die Frau war die Gattin von Bill Prentice, einem der Stadträte. Von diesem Augenblick an verläuft seine Rückkehr alles andere als harmonisch. Er besucht Gareth, der sich darum bemüht, die alte Freundschaft wieder aufleben und das Vergangene vergangen sein zu lassen. Er wohnt jetzt mit seinem Dad, der im Rollstuhl sein Dasein fristet, aber nicht aufgegeben hat, sondern in seiner zur Werkstatt eingerichteten Scheune Präszisionsarbeiten für besondere Kunden verrichtet, die keine wenig haltbare Fabrikware wollen. Sie haben ihr Domizil jetzt am See, da sie sich früher viel davon versprochen haben, dort mit Ferienhütten ihr Geld machen zu können, wenn die Stadt den kaum befahrbaren Feldweg zu ihrem Grundstück und dem See hin zu einer ordentlichen Straße ausgebaut habe. Touristen würden ihnen eine Menge Kohle in die Kassen spülen und Stadtrat Prentice hatte ihnen den Ausbau zugesagt - und nicht Wort gehalten. Jetzt sitzen sie auf ihrem quasi wertlosen Land und kommen gerade so über die Runden. Gareth hat einige Huren in den Blockhütten einquartiert und spielt den Zuhälter. Er bietet Johnny den Job an, dass der die Ladys zu ihren Kunden chauffiert und sie auch wieder abholt und zurückbringt. Johnny lehnt erst einmal ab, aber als Gareth ihn lange bittet, nimmt er an. Und kurze Zeit später erfährt Johnny, was für ein Typ Bill Prentice ist. Bei einem Vereinspicknick setzt sich der verheiratete Bill mit einer erheblich jüngeren Frau in den Wald zu einem Schäferstündchen ab, wird von Johnny, Stan und Marla gesehen und bittet diese um Stillschweigen. Sie sagen es zu. Doch das ist nicht alles. Als sich Marla mit Johnny zu einem eigenen Schäferstündchen zurückziehen, ist ihnen Bill gefolgt und bittet sie gegen Cash, dabei zuschauen zu dürfen. Nach einigem Überlegen stimmen sie zu und lösen damit Ereignisse aus, die ihren Heimatort von unten nach oben kehren.

Eine kleine amerikanische Stadt, völlig unscheinbar irgendwo im Nirgendwo, wird Schauplatz von kleinen und großen Dramen, einem Geheimnis und einigen Morden, sowie dem ungeklärten Verschwinden eines Mannes, der seinen Söhnen ein gerade erst erworbenes Grundstück überschrieben hat. Schnell stellt sich heraus, dass sich hinter der vermeintlich idyllischen Fassade des Städtchens tiefste Abgründe auftun. Was sich zu Beginn nur langsam hochschaukelt, gewinnt an Tempo, wird spannend, lässt aber auch hin und wieder ein Kopfschütteln zu, wenn die Handelnden doch zu ungeschickt agieren. All das wird dann zwar in einem unüberschaubaren Geflecht aus Intrigen und Rache sowie vergangenen Versäumnissen, die nun in die Gegenwart hineintransportiert werden mit Fortlauf der Handlung zumeist schlüssig erläutert, lässt aber dennoch im einen oder anderen Fall Zweifel offen. Die Skizzierung der Figuren lässt den Leser mit den Menschen, um die es geht leiden - sogar mit Johnnys ehemals besten Freund Gareth, der ein wenig zu sehr auf alte Seilschaften zu setzen scheint und alles zu schnell ad acta legt. Die sympathischste und auch tragischste Figur jedoch ist Stan, Johnnys Bruder. Der einzige Mensch, der sich wirklich zu freuen scheint, dass Johnny zurück ist, der vielleicht sogar ein erfülltes Leben führt, völlig ohne Argwohn und schlechtem Karma. Der Schrecken in diesem Buch entsteht nicht durch knallharte Action oder sinnloses Gemetzel mit an die Grenzen des Ertäglichen gehenden Beschreibungen von Foltern und Schlachterei, sondern durch Verrat, komplizierte Famlienbande, Gier und Rache. Die Hinterlist, das Spiel mit den Gefühlen der Mitmenschen während des Versuchs, sie in den Abgrund zu treiben, ist das eigentlich Grausame in "Empty Mile". Es entwickelt sich ein Kleinstadtdrama voller Niedertracht und Gemeinheiten, Szenen, die an die Nieren gehen und noch lange nachwirken werden, eine Anleitung für Familien zur Selbstzerstörung mit tragischen Auswirkungen und emotionalen Momenten. Ein Roman darüber, dass eine vermeintliche Idylle nur die Romantik der Heimat übertüncht. Und der seine Spannung nicht nur aus den Geschehnissen um den Erzähler Johnny und seinen Bruder Stan bezieht, sondern auch aus den Fragen, was es mit dem Grundstück auf sich hat, auf das alle plötzlich so scharf sind, wohin der Vater der Jungs verschwunden ist und was der neue große Geschäftsmann in einem Kaff wie Oakridge will? Fakt ist aber, Johnny wäre besser weggeblieben, dann würden vermutlich einige Menschen noch leben. Es muss nicht immer Pollock sein, Matthew Stokoe tut es auch, wenn man sich nicht an seinem letzten Werk "High Life" orientiert. "Empty Mile" ist gänzlich anders.

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