Montag, 19. Mai 2014

Buchreview "Erbarmen"

Jussi Adler-Olsen. Und dann kam die Angst - wie ein schleichendes Gift. Sie horchte auf die verzerrte Stimme, die aus einem Lautsprecher irgendwo im Dunkeln kam. "Herzlichen Glückwunsch zu deinem Gebirtstag, Merete. Du bist jetzt hier seit 126 Tagen, und das ist unser Geburtstagsgeschenk: Das Licht wird von nun an ein Jahr eingeschaltet bleiben. Es sei denn, du weißt die Antwort. Warum halten wir dich fest?" Es ist der erste Fall für Carl Morck, Spezialermittler des neu eingerichteten Sonderdezernats Q in Kopenhagenund seinen syrischen Assistenten Hafez El-Assad: ein atemloser Wettlauf um das Leben einer Frau, die längst als tot gilt. 

2002: Merete Lynggaard war eine erfolgreiche Politikerin als sie nach einem Zwist mit ihrem behinderten (Folgen eines Autounfalls) Bruder auf einer Fähre plötzlich spurlos verschwindet, den Bruder findet man Tage später hilflos in der Gegend umherirrend. Von der Fähre herunter hat er es also geschafft, aber er weiß nicht, was überhaupt geschehen ist.

2007. Carl Morck war schon seit jeher ein streitbarer Zeitgenosse. Doch seit er und zwei seiner Kollegen von Gangstern angeschossen bzw. erschossen wurden, ist er schier unerträglich geworden. Und was macht man mit solchen Querdenkern: man schiebt sie ab. Da kommt es gerade zur rechten  Zeit, dass man ein Sonderdezernat für alte Fälle gründen kann und das auch überauzs großzügig vom Staat finanziert bekommt. Schon ist Morck Leiter eines Dezernats im Keller des Präsidiums, ein Chef ohne Personal und Arbeitsmittel. Man kann ihm ja alles nachsagen, aber blöd ist er nicht. Schnell bekommt er über frühere Beziehungen heraus, dass die Sondereinheit mit acht Millionen bezuschusst wird - von denen er bisher nichts zu sehen bekommen hat. Schwupps stellt er Forderungen und bekommt sie auch erfüllt. Einen Assistenten namens Assad, Kopierer, zweites Büro usw. Und Akten, die er lesen muss. Nicht so gut. Doch als jemand über die Fortschritte informiert werden will, muss er ran - und nimmt den Fall Merete Lynggaard. Nach und nach lesen sie sich in den Fall ein, beginnen Fragen zu stellen, finden erste Spuren und Hinbweise, dass die Ermittlungsarbeit damals nicht gerade überaus sorgfältig gewesen ist. Morck überträgt Assad immer mehr Aufgaben, während er den gelähmten Kollegen Hardy im Krankenhaus besucht, ihn aufmunter und sogar ermuntert, mit seinen geistigen Fähigkeiten zum derzeitigen Fall beizutragen. Selbst den Kollegen im Präsidium kann er helfende Tipps geben, um den Fall zu klären, der ihn damals so durchrüttelte. Im Laufe der Zeit kommen Morck und Assad nicht nur immer besser miteinander aus, sondern auch dem Täter näher.

"Erbarmen" erscheint anfangs wie einer dieser dauer-düsteren Skandithriller im Stile eines Mankell, doch so schlimm ist es nicht wirklich, auch wenn die Hauptfigur schwer an ihrem Trauma zu knabbern hat. Doch es hat auch seinen Reiz, wenn man ihm folgt, wie er sich seiner Lethargie ergibt, Kollegen anraunzt, Arbeit bestenfalls vortäuscht und nur seine Ruhe will. Bis er feststellt, dass er mit dem Wissen um die Zuschüsse seinen Vorgesetzten und Kollegen auf der Nase herumtanzen kann. Er tut es mit Genuss. Und als er den Syrer zugeteilt bekommt, stellt er fest, dass der Mann mehr als nur clever ist, dass er sich mit ihm tatsächlich zusammenraufen und sich selbst zusammenreißen kann. Neben den üblichen Themen wie Medienkritik, Traumata, Psychoproblemen oder Rassismus mischt sein dynamisches Duo die Welt der Polizei in coolster Manier auf. Der Thriller ist trotz der Themen, die eigentlich allesamt bekannt und oft genutzt sind, eine für skandinavische Thriller ungewohnt gut gelaunte und fast schon fröhliche Geschichte. Der Syrer Assad ist dabei die treibende Kraft, wenn es um fröhlichen Humor geht, für zickige Sticheleien ist dann der arrogante Einzelgänger Morck zuständig, der der Welt gerne zeigt, dass sie ihn mal kann und er weiter stur seinen gewählten Weg geht, ohne sich verbiegen zu lassen oder anzubiedern. Der Fall ist spannend, kommt sehr locker formuliert daher und hat dennoch grausame Momente, die ohne übermäßige Gewalt oder Blutvergießen auskommen, obwohl des Martyrium der Merete Lynggaard schrecklich, aber mehr der Fantasie der Leser überlassen ist. Das Buch ist mit allem gespickt, das einen guten Thriller und Page Turner ausmacht: Humor, Spannung, Düsterheit, feinen Figuren, so manchem Geheimnis und von einem hervorragenden Autor wunderbar geschrieben. Lesetipp und nun auch Filmtipp. Lief ja schon in den deutschen Kinos. Wer ihn also wie ich verpasst hat, sollte sich die Heimkinoausgabe besorgen.

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