Freitag, 27. Januar 2012

Buchreview "Der Anschlag"

Stephen King. Am 22.November 1963 fielen in Dallas, Texas, drei Schüsse. John F. Kennedy starb, und die Welt veränderte sich für immer. Jake Epping kann in jene Zeit zurückkehren und will das Attentat verhindern. Aber je näher er seinem Ziel kommt, umso mehr wehrt sich die Vergangenheit gegen jede Veränderung.

Jake ist Lehrer und nimmt seine Mahlzeiten bei seinem Kumpel Al in dessen Diner ein. Der erzählt ihm eines Tages eine wilde Geschichte und beweist ihm, todkrank, dass sie der Wahrheit entspricht. Er will Jake durch ein Portal in die Vergangenheit schicken, um den Tod von JFK zu verhindern und die Welt zu einem aus seiner Sicht bessweren Ort zu machen. Er weist Jake in seine Vorgehensweisen ein, gibt ihm Unterlagen und Sachwissen, das dieser für die Zeitreisen benötigt. Erste Tests zum Zwecke der Veränderung des Schicksals eines Bekannten zeigen Jake die Schwierigkeiten auf, die ihn erwarten. Es scheint, als würde sich ihm immer etwas in den Weg stellen, um sein Eingreifen zu verhindern. Als er bei der entscheidenden Reise, die ihn zuerst als Abstecher nach Derry führt, einer miefigen Industriestadt mit unfreundlichen Zeitgenossen, wo er eine Frau und deren vier Kinder vor einem blindwütigen Ehemann rettet, der sie im Suff sonst getötet hätte, nach Dallas kommt, stellt er fest, dass ihm diese Ölstadt so gar nicht gefällt und macht sich auf nach Jodie, einer kleinen Gemeinde vor den Toren der Stadt. Dort sind die Menschen freundlich und er bekommt fast sofort einen Job als Lehrer an der örtlichen Schule. Er beginnt zweigleisig zu fahren - Beruf und die Vorbereitungen zur Rettung vom Präsidenten. Dazu verliebt er sich noch in die neue Bibliothekarin der Schule namens Sadie. Seine große Liebe. Doch während er das Leben in der Vergangenheit genießt, verstrickt er sich auch in seinem Lügengeflecht und die Beziehung steht kurz vor dem Aus. Also volle Konzentration auf die Mission: Das Ausschalten von Lee Harvey Oswald, den er monatelang überwacht, seine Kontakte überprüft und sich einen Plan erstellt, wie er ihn aufhalten kann. Vor dem Attentat selbstverständlich.

Ganz zu Beginn legt Stephen King seinem Protagonisten Jake Epping eigene Erfahrungen hinsichtlich mangelnder Rechtschreibung und Bildung in der Bevölkerung, AA-Weisheiten und die Gefahren des Tabakkonsums in den Mund. Besonders die Gesundheitsaspekte haben es ihm angetan, da er mit penetrantem, fast missionarischem Eifer seine Mahnungen kundtut und dies über die gesamte Seitenzahl tapfer durchhält. Leider wollte ich keinen Gesundheitsratgeber (dafür hab ich meinen Arzt) und auch nicht dazu herhalten, mir seine eigene Suchtkarriere wie ein Therapeut anzuhören bzw. zu lesen, wenn er sie in Buchform verarbeitet. Ansonsten macht der Romancier zu Beginn so gut wie alles richtig (soweit ich das als Laie und schlichter Leser beurteilen kann) und der Part, wie Al seinen Kumpel häppchenweise einweiht, immer durch Cliffhanger unterbrochen, und die ersten Tests sind feine und vor allem spannende Unterhaltung. Die Erwartungshaltung steigt weiter und King packt die "Was wäre, wenn..."-Karte aus. Lebt Kennedy weiter, gibt es keine Morde, verhindert er Vietnam und die Rassenunruhen bleiben aus. Soweit der Wunschgedanke. Dass der in Amerika völlig kritiklos mit Heiligenschein versehene Kennedy, der auch nicht ohne Makel war, was aber niemand wahrnehmen oder wahrhaben will, vielleicht auch den Dritten Weltkireg auslösen könnte, kommt niemand in den Sinn. Mit Kennedy wird alles besser. Bei dem Thema wird es so proamerikanisch, dass man sich fast bei Clancy und Konsorten wähnt. Daneben stehen natürlich die zentralen Fragen der Zeitreise. Was bewirken die Veränderungen der Vergangenheit für die (neue?) Zukunft? Hinzu kommt der Ansatz, dass die Zeit sich wehrt, obwohl dies nicht so grausam geschieht, wie auf dem Klappentext großspurig verkündet. Es sind eher Unglücke, Dinge des alltäglichen Lebens, die passieren können. Gehäuft, je näher er dem Ziel kommt, aber erklärbar. Bis zu ca. Seite 450 bleibt der Roman auf einem guten Niveau, sie sind die besten des Buches bis er sich fast völlig der Liebesgeschichte von Jake und Sadie widmet und deren Leben in den Sixties. Hier kommt zwar Charme auf, wenn er diese Zeit so schildert, als wäre bis auf Ausnahmen alles besser gewesen, aber das verblasst je länger er sich mit diesem Teil seines Buches aufhält und das Attentat immer noch in weiter Ferne liegt, während sich Jake mit Sadie vergnügt und nebenbei Oswald hin und wieder im Auge behält. Diesen Part erzählt King ausschweifend und langatmig, aber ohne große Verschwörungstheorien, nur unterbrochen von einigen wenigen Krimielementen, von Horror keine Spur, nur ein paar Andeutungen. Das Erzähltempo wird langsamer, die Sache verliert an Fahrt und driftet teilweise Richtung Kitsch ab. Liebesdrama mit Lokalkolorit und Taschentuchpflicht. Hier hätte man sich getrost rund 300 Seiten sparen können. Gegen Ende der 1050 Seiten der deutschen Ausgabe geht es wieder etwas flotter zur Sache, aber es kann den langweiligen Part nicht völlig vergessen machen, kurz noch die Fantastik gestreift und dann ein recht unbefriedigendes Ende (zumindest teilweise). Die Story hatte mehr Potenzial, das ungenutzt blieb und konnte mich nicht völlig überzeugen. Ich sag nur Reset-Option. Daher bleibt nur Mittelmaß für einen zwar emotionalen Roman, der locker zu konsumieren ist, wenn man die zähen Phasen übersteht, der aber auf dem Gebiet von Horror nicht wirklich überzeugen kann, mit dem er beworben wird. Da fand ich "Die Arena" entschieden besser. Wer sich aber eine große Lovestory von King gewünscht hat, liebevoll und herzensgut, zu Tränen rührend, eine Werk eines anscheinend gereiften Schriftstellers, der sich immer mehr vom offensichtlichen Horror abwendet und mehr über das Böse in den Menschen und deren seelische Abgründe skizziert, der ist bei "Der Anschlag" besser aufgehoben als ich, da meine Erwartungshaltung eben eine andere war. Geschmackssache eben. Dachte sich laut Entertainment Weekly wohl auch Jonathan Demme und hat sich angeblich schon die Rechte für eine Verfilmung gesichert.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Aaaaah sehr interessant.Nach "Die Arena", den auch ich sehr gelungen fand, war ich gespannt, wie der neue King werden wird.Wie immer vielen Dank für deinen ersten Einblick.Werd ich mir mal geben.


...ansonsten wie immer...nennen sie mich SNEAK.

Anonym hat gesagt…

Die Arena hatte mir sehr gut gefallen. Aber das hier hört sich recht zäh an. Übrigends wirklich gute Rezension.Da werde ich wohl auf die TB Ausgabe warten.

Atomino

Anonym hat gesagt…

@atomino. Danke für das Lob. Subjektiv würde ich wohl jetzt auch zur TB-Ausgabe raten. Und genau der Teil mit der Love-Story und dem Beobachten von Oswald ist eine recht zähe Angelegenheit, die ebenfalls rund 450 Seiten in Anspruch nimmt. Nett, wenn man auf Gefühle und Lokalkolorit steht, weniger, wenn man erwartet, dass es weitergeht, wie zu Beginn oder wie ich von vorneherein mehr erwartet hat.
Es gibt aber Leute, die das Buch als literarischen Leckerbissen bezeichnen und King in den Status eines Weltklasseautors auf allerhöchstem Niveau erheben und gerade dem gefühlvollen Part viel abgewinnen können.
So bleibt meine Rezi eben doch nur das, was sie ist. Eine Einzelmeinung.

Gruß
Harry

Anonym hat gesagt…

@Harry. Bei diesem Buch war ich sehr unentschlossen, aber bei dem Preis und der Platz im Regal ist auch nicht unendlich (bin eBook Muffel), warte ich lieber noch. King hat eigentlich immer gut geschrieben aber manchmal auch langatmig und diese Bücher waren dann nicht so mein Ding. Deine Rezi hat mir jedenfalls sehr geholfen. Generell sind Deine Buchrezensionen sehr interessant und informativ.

Atomino