Dienstag, 28. September 2010

Buchreview "Oktoberfest"


Christoph Scholder. Der zweite Wiesn-Sonntag. Weiß-blau erstreckt sich der Himmel über München. Tausende strömen auf das größte Volksfest der Welt. Partystimmung, so weit das Auge reicht, ausgelassen tanzen die Leute in den riesigen Zelten. Niemand ahnt, dass dieser Nachmittag um exakt vier Minuten vor sechs in einem Höllenszenario enden wird. Denn genau zu diesem Zeitpunkt gibt Oleg Blochin, der skrupellose Kommandeur einer russischen Elite-Soldateska, seinen Männern den Befehl, das Betäubungsgas im ersten Bierzelt freizusetzen. Und das ist erst der Anfang. Schlag auf Schlag geht es weiter. 70.000 Menschen werden zu Geiseln in einem hochriskanten Spiel auf Leben und Tod.
Bosnien, Mauritius, Afghanistan, Tschetschenien, Bremerhaven, München, Kaliningrad, Helgoland. Unterschiedliche Schauplätze zu unterschiedlichen Zeiten. Vorstellung der Hauptfiguren (wobei mich eine doch sehr an den ehemaligen Chef von 1860 München erinnert). Aufbau der Handlungsfäden. Waffen werden beschafft und illegal ins Land gebracht. nunmehr nutzlose Schergen werden aus dem Weg geräumt (Kehlenschnitt und der Blutfluss wird kommentiert mit "O'zapft is'"). die Unternehmer Romburg und Vogel geraten durch einen lukrativen Auftrag in die beängstigenden Geschehnisse und einen Strudel aus Blut und Gewalt, Mord und Erpressung. Ein russischer Offizier nimmt das Münchner Volksfest in seiner Gesamtheit als Geisel und fordert zwei Milliarden Euro. Wahres Motiv? Unklar. Die Bundesregierung lässt ihren geheimsten Geheimagenten des MAD, Wolfgang Härter, den Fall übernehmen. Der Bundeskanzler (AM abgewählt, ein Segen? Nö, Pech gehabt, das Buch spielt einige Jahre zuvor und erinnert noch an die vermeintlichen und spekulativen, unbewiesenen Seilschaften mit russischen Präsidenten zur Sicherung eigenen Wohlstandes während man noch vom Volk bezahlt wird und für dieses arbeiten sollte.) nennt den Agenten seinen deutschen James Bond (Nein, ich bin Härter. Wolfgang Härter.), der die Situation sicher und unter zu Hilfenahme einiger Kollegen bereinigen soll - inklusive weiterer Bonmots. Oleg Blochin bekommt einen würdigen Gegner, während er und seine Leute ihre Geiseln mit Freibier und Hendln umsonst ruhig stellen können. Das geht wohl auch nur in Bayern. Im weiteren Verlauf der Handlung entwickelt sich das Ganze zu einem Duell der beiden Kontrahenten, das etliche Opfer fordert und auch die eine oder andere kleine Überraschung zu bieten hat. Da die Geiselnehmer schwer bewaffnet sind (mobile SAM-Abschussrampen, H&K MPs, Gasvorrichtungen), ist Vorsicht angebracht, die nicht immer bei den Großkopferten an erster Stelle steht. Kann Härter das Disaster verhindern?
Passend zum aktuellen Anlass kam die Veröffentlichung des Buches sowie meine zeitige Rezi. Ob so ein Szenario wirklich denkbar ist? Keine Ahnung. Aber wer hätte an 9/11 gedacht? Höchstens Tom Clancy. So kam es denn auch, dass das Werk von Christoph Scholder schon im Vorfeld heftige Kritik vonm allen Seiten einstecken musste. Weil er es wagte a) ein großes deutsches Volksfest als Grundlage für sein Terrorszenario zu wählen, b) weil es zum 30. Jahrestag des Wiesn-Attentats erschien und c) auch noch pünktlich zum Wiesnstart. Da wurde ihm jegliche Sensibilität abgesprochen, dafür aber Sensationsgier unterstellt (und das auch noch von Faltblättern, die mit der Wahrheit wenig, dafür aber mit Sensationsgeilheit, Gerüchten und vagen Behauptungen um so mehr am Hut haben). Fragwürdige Argumente wurden aus dem Hut gezaubert, die sich aber mal keiner zu äußern wagt, wenn ein amerikanischer Schriftsteller solche Bedrohungen in seine Geschichten integriert, da bleiben die Populisten mit ihren erhobenen, mahnenden Zeigefingern feige in ihren Löchern. Denen ist wohl nicht die Angst um die Menschen an die Nieren gegangen, sondern eher der Bammel vor Umsatzverlusten. Man stelle sich vor, dass die Leser den Roman ernst nehmen und das Fest meiden. Diese Blamage, diese Steuerverluste, die armen Wiesn-Wirte und ihre Zulieferer und die armen Organisatoren. Solchen Schreiberlingen muss öffentlich ein Riegel vorgeschoben werden - einfach das Volksfest Nummer Eins verunglimpfen. Mammon vor Mensch eben, wie in der heutigen Zeit üblich. Das Buch selbst beginnt mit einem wilden Dekadenhopping (80-er, 90-er, erste Dekade 2000 und bunt gemischt), um die Motivation der einzelnen Figuren begreiflich zu machen und einzelne Handlungsfäden zu starten (die im Gegensatz zu manch anderen Autoren zu Schluss alle verknüpft und zu Ende geführt werden). Insgesamt ein recht spannendes Buch, gewalttätig, aber nicht übermäßig blutrünstig, dafür hin und wieder recht menschenverachtend (Afghanistan: Ein russischer Offizier hält zwecks Befragung der Eltern ein Kleinkind über einen Brunnenschacht, lässt es fallen und meint: "Ups, da ist das Kind in den Brunnen gefallen".). Ein Schmankerl für Fußballfreunde ist auch enthalten, da der Anführer der Speznaz Oleg Blochin heißt (Weltfußballer 1975). Von der sprachlichen Gestaltung sollte man sich nicht zuviel erwarten. Von einem akademiker mit Abschluss in Soziologie, Philosophie und Psychologie hätte ich denn doch mehr erwartet als das gebotene "Ohne Mampf kein Kampf". Recht biederes Niveau. Da lob ich mir denn doch den von mir schon hin und wieder kritisierten Daniel Silva, bei dem die Sprache sowie etwas intellektuelleres Umfeld doch besser ankommen. Bei ihm hapert es im Storyaufbau (siehe demnächst in der neuen Rubrik Bücherreport). Warum trotzdem eine ausführliche Besprechung? Weil das Buch für deutsche Verhältnisse in diesem Genre sehr gelungen ist und einen Marc Kayser (um nur ein Beispiel zu nennen) um Längen hinter sich lässt, dazu eine ordentliche Portion Action mit hoher Opferzahl anbietet. Am Humor müsste vielleicht noch etwas gearbeitet werden, der kam nicht so rüber. Für Deutschland am oberen Limit und international immer noch oberes Mittelmaß. Also durchaus geeignet für spannende, unterhaltsame und actionreiche Lesestunden, wenn man nicht mit zu hohem Anspruch an die Sache rangeht. Ein wirklich gelungenes Debüt, mal sehen, ob mehr kommt.

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